Urban-Gardening-Manifest “Die Stadt ist unser Garten!”

Über 80 Garteninitiativen haben unter www.urban-gardening-manifest.de ein gemeinsames Manifest veröffentlicht. Es soll zur öffentlichen Diskussion über die Gestaltung der Zukunft der Stadt und über die Bedeutung von Gemeinschaftsgärten und Stadtnatur als Gemeingüter beitragen.

Die Initiatoren betonen, wie wichtig ein frei zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang für eine demokratische und plurale Stadtgesellschaft ist. Gleichzeitig fordern sie Politik und Stadtplanung auf, die Bedeutung von Gemeinschaftsgärten anzuerkennen und ihre Position zu stärken. Hier das Manifest als Video:

Fruchtbare Böden fürs Commoning

Nachfolgend reproduzieren wir einen Beitrag aus dem Buch „Wissen wuchern lassen – Ein Handbuch zum Lernen in urbanen Gärten“. Der Beitrag stammt von Miren Artola und betrachtet Gemeinschaftsgärten aus dem Blickwinkel der Allmende.

wissen wuchern lassen

Gemeinschaftsgärten sind ein gutes Beispiel für Stadtentwicklung von unten: Menschen gründen Gärten und nehmen damit Teil an der Gestaltung von Stadtraum. So entsteht ein unkommerzieller Erholungsort, den z.B. die Nachbar*innen eines Kiezes ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten können, das beinhaltet neben räumlichen auch immer soziale und politische Dimensionen. Diese bewusst und aktiv zu gestalten, kann dennoch leicht aus dem Blick geraten beim Einsatz und dem Wirbel um die ganzen praktischen, materiellen und formellen Anliegen. Deshalb wollen wir euch hier zum Schluss das Prinzip der Allmende ans Herz legen, das wir – wie der Name unserer Initiative schon zum Ausdruck bringt – als wegweisend empfinden.

In aller Kürze: Was bedeutet eigentlich Allmende? Allmende ist die deutsche Übersetzung für Commons. Klassischerweise bezeichneten Allmenden Weiden oder Wälder, die von einer Gemeinde gemeinsam genutzt und gepflegt wurden. Produktiv nutzbarer Boden ist aber keineswegs die Haupteigenschaft, die Allmenden – und schon gar nicht moderne Allmenden – ausmacht. Laut Silke Helfrich (2009) bringen Commons eine soziale Beziehung zum Ausdruck. Es gibt sie überall dort, wo Menschen gemeinschaftlich eine Ressource schaffen, benutzen und pflegen und gemeinsam die Zugangs- und Nutzungsrechte auf diese Ressource gestalten. Diese Gestaltung der Spielregeln ist ein ständiger Aushandlungs- und Organisationsprozess und wird Commoning genannt. Commons werden also durch das Commoning zwischen den beteiligten Menschen aktiv geschaffen und am Leben erhalten.

In diesem Kapitel haben wir an mehreren Stellen auf die Wichtigkeit von einem möglichst offenen und partizipativen Gründungsprozess hingewiesen. Dieser kann als Commoning gedacht und gestaltet werden: Wer, was, wie ist alles in Berührung mit den Ressourcen (Stadtraum, Boden, Pflanzen, Wasser etc.), die diesen Garten ausmachen? Die betreffenden Menschen mit ihren womöglich diversen Interessenlagen sollten dazu eingeladen werden, sich in den Aushandlungs- und Gestaltungsprozess und darüber hinaus im Alltag des Gartens zu beteiligen. Abgesehen von den Leuten, die den Garten gründen, und denjenigen, die dort gärtnern, sind auch andere Gruppen mit dem Geschehen im Garten in Berührung: die direkte Nachbarschaft, die den Garten noch als Brache kennt, lokale Akteure, die sich über Verbündete im Kiez freuen, die Stadtverwaltung, die für die ehemalige Brache eine Nutzung sieht, Projekte, die sich ebenfalls mit Gärten und verwandten Themen beschäftigen. Sie alle können etwas zu dieser neuen Allmende beitragen!

Sicherlich werden nicht alle gleichermaßen daran beteiligt sein, den Garten als räumlichen, sozialen und politischen Ort zu gestalten, und das ist gut so! Denn Commoning bedeutet auch das Verhältnis zwischen Teilhabe, Mitbestimmung und Verantwortung der Situation angepasst und gerecht zu vermengen (siehe Kapitel VI). Wie das im Konkreten aussieht, hängt von vielen Faktoren wie Arbeitsaufwand, vorhandenen fachlichen Kenntnissen, juristischem Rahmen etc. ab, und die kann man nicht voraussagen. Doch das Prinzip der Commons, kraftvoll und vielversprechend, verdient einen zentralen und sonnigen Platz in unseren Gärten – sie sollen gedeihen! Die Früchte sind mit Sicherheit vielfältig und überraschend.

Das Buch „Wissen wuchern lassen – Ein Handbuch zum Lernen in urbanen Gärten“ kann für 18 EUR im Buchladen erworben oder portofrei beim AG SPAK Verlag bestellt werden. Es steht online zum kostenlosen Download bereit.

Akademiker stellen Open Source Saatgut vor

Eine Gruppen von Wissenschaftlern und Lebensmittelaktivisten aus dem Umfeld der Universität Wisconsin-Madison starteten am 17. April eine Kampagne um auf die Problematik von Patenten bei Saatgut aufmerksam zu machen. Sie veröffentlichen verschiedene Gemüse- und Getreidesorten unter einer Open Source Lizenz die sicher stellt, dass Bauern, Gärtner und Pflanzenzüchter die Samen jederzeit tauschen und weiterzüchten können.

Die Open Source Seed Pledge, die allen Saatgutpackungen beiliegt.

Die Open Source Seed Pledge, die allen Saatgutpackungen beiliegt.

Unter den insgesamt 29 neuen Varianten befinden sich Brokkoli, Sellerie, Grünkohl, Quinoa und andere Gemüse- und Getreidesorten. „Gemüse ist Teil unseres gemeinschaftlichen Kulturerbes und unser Ziel ist es, dass diese Samen im öffentlichen Eigentum und damit frei für den zukünftigen Gebrauch bleiben“, sagt Professor Irwin Goldman vom Gartenbauinstitut der Universität. Er ist einer der Initiatoren der Kampagne und nennt als seine Motivation die vor 20 Jahren gängige Praxis des freien Austausches von Saatgut unter Pflanzenzüchtern.

Heutzutage sind Samen intellektuelles Eigentum und manche sind patentiert. Man braucht eine Berechtigung vom Patenthalter um sie zu verwenden und man darf sie nicht ernten um sie nächstes Jahr wiederzusäen.

Darum wurde 2011 die Open Source Seed Initiative ins Leben gerufen, sie publizierte die verwendete Lizenz, die sogenannte Open Source Seed Pledge. Die Idee ist ähnlich wie bei Open Source Software Lizenzen, die Freiheit der Weiterverwendung sicherzustellen. Sie ist sehr kurz gehalten und liegt allen ausgesendeten Samen bei, hier eine freie Übersetzung:

Diese Open Source Saatgut Zusicherung beabsichtigt, dir die Freiheit zu geben, das hierin enthaltene Saatgut wie auch immer zu verwenden und sicherzustellen, dass diese Freiheit auch alle nachfolgenden NutzerInnen genießen. Mit dem Öffnen dieses Paketes gibst du die Zusicherung, dass du den Gebrauch der Samen und ihrer Derivate durch Dritter weder durch Patente, Lizenzen oder andere Mittel einschränkst. Du versicherst, dass die Weitergabe der Samen und ihrer Derivate diese Zusicherung enthält.

Der Soziologe Jack Kloppenburg sagt, dass die Initiative vor allem ein symbolischer Akt ist um auf die Konzentration mi Saatgutbereich und die Macht der Saatgutkonzerne aufmerksam zu machen. Er meint, dass es sich um eine Art biologishces Meme handelt, etwa mi Sinne von: “Befreit das Saatgut! Saatgut dass von jedem verwendet werden kann!“

Gemeinschaftsgärten in Linz

Der Trend zur Rückkehr zur eigenen Lebensmittelproduktion macht auch vor Linz nicht halt. Was früher als Schrebergarten und Gartln („Gärtnern“) bezeichnet wurde, heißt heute auf gut Neudeutsch Urban Gardening. Und doch geht dieser Begriff etwas weiter, da er das gemeinsame und soziale unterstreicht und sich als Gemeingut versteht.

Linz Pflückt versteht sich als Teil dieser Bewegung – trotz des elementaren Unterschieds, dass die städtischen Linzer Obstbäume von oben verordnet und von der Stadt gepflegt werden, d.h. sich zwar als Gemeingut im öffentlich Raum verstehen, im Gegensatz zu anderen Initiativen aber nicht eigenverantwortlich verwaltet werden.

Brigitte Kratzwald nennt in ihrem Artikel internationale Beispiele wie Todmorden und Andernach, aber auch österreichische wie Wiener Neustadt und Übelbach.

Foto: Jose Pozo_urbanfarm

Interkultureller Gemeinschaftsgarten Tabakfabrik, Foto: Jose Pozo_urbanfarm

Auf unserer Karte haben wir einige interessante Initiativen eingezeichnet, die dazu beitragen, Linz in eine essbare Stadt zu verwandeln. Es handelt sich zum Großteil um Gemeinschaftsgärten, die in den letzten Jahren im Stadtgebiet entstanden sind. Die Liste versteht sich als Work in Progress und ist natürlich offen für weitere Projekte.

Im Stadtzentrum sind seid 2012 mehrere Initiativen entstanden. Der Donaugarten Alt-Urfahr entstand auf einem Grundstück der Stadt, die Initiative Wachstumsphase betreibt einen Gemeinschaftsgarten in der Tabakfabrik. Im Flüchtlingsheim von SOS Menschenrechte in der Rudolfstraße gibt es einen Garten der von den Flüchtlingen betreut wird.

In der KAPU wird unter dem Namen „Essbare Stadt“ gegärtnert, die Stadtwerkstatt experimentiert mit Deckdock 2135. Erwähnenswert – wenn auch nicht auf unserer Karte – ist auch das Augmented Urban Gardens Projekt von Time’s Up.

Der Hafengarten ist das letzte landwirtschaftlich genutzte Grundstück mitten im Industriegebiet, am Fuße des Pöstlingbergs öffnet die Leisenhof Gärtnerei ihre Gartentore für Interessierte. Neu eröffnet wird heuer der Garten der Vielfalt in Plesching.

Weitere gemeinschaftsfördernde Projekte rund ums Urban Gardening in Linz und Umgebung findet ihr bei Stadtgrün und beim Bodenbündnis vor.

 

Städtische Ernährungssouveränität

Weltweit treten soziale Bewegungen für Ernährungssouveränität ein, es geht ihnen um eine neue, demokratische Gestaltung unseres Agrar- und Lebensmittelsystems. Die zweite Auflage der Broschüre Ernährungssouveränität ist eine Sammlung von Ideen, Ansatzpunkten und Alternativen zum Recht auf Nahrung.

Der folgende Artikel beschäftigt sich mit städtischer Ernährungssouveränität und stammt aus der Feder von Brigitte Kratzwald. Sie ist Sozialwissenschafterin und arbeitet zum Thema Commons. Er steht unter CC BY-NC-SA.

stadtlandStadtbewohner*innen werden in Bezug auf Ernährung oft nur als Konsument*innen wahrgenommen. Ernährungssouveränität in der Stadt hängt dann von verschiedenen Faktoren ab. Von ausreichendem Einkommen, von der Erreichbarkeit der Geschäfte, von der Mobilität und von der angebotenen Auswahl an Nahrungsmitteln. Sie kann somit auf unterschiedliche Arten erlangt werden: durch höhere Löhne oder durch die Verbesserung des Angebots an biologisch und fair produzierten Produkten, oft erst auf Druck der Konsument*innen. Ernährungssouveränität und nachhaltige Ressourcennutzung gehen häufig Hand in Hand. Kommunalpolitik hat dabei einen großen Einfluss auf die Ernährungssouveränität der Bürger*innen durch die Planung kurzer Wege, durch den Erhalt der Nahversorgung oder durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Durch Sozialpolitik kann ein ausreichendes Einkommen gesichert werden. All das entspricht immer weniger der Realität vieler Menschen in den Städten.

Die Stadt gehört uns!

Die Stadt ist nicht nur gebaute Umwelt. Sie ist auch ein Erzeugnis des alltäglichen Lebens. Sie spiegelt die Abhängigkeiten, Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten, die das Leben kennzeichnen, und bringt diese mit hervor. Dies zu verändern ist für Ernährungssouveränität zentral. Die Kämpfe um Ernährungssouveränität in den Städten sind somit verbunden mit anderen Kämpfen. Denen gegen prekäre Arbeitsbedingungen und denen um die Aneignung des öffentlichen Raumes. Wer macht die neoliberale Stadt? Wer profitiert von ihr? Unter dem Motto „Recht auf Stadt“ stellen Menschen den Anspruch auf Mitgestaltung ihrer Lebenswelt, eignen sich Räume an, um sie für ihre Zwecke selbstverwaltet zu verwenden. Sie schaffen „urban commons“.

Commons bedeutet die gemeinsame, selbstorganisierte Nutzung von Ressourcen, die einer Gruppe von Nutzer*innen entweder als „Gabe“ (der Natur oder einer Person) zugefallen sind, die kollektiv hergestellt oder aktiv angeeignet wurden. Historisch handelte es sich um Land, auf das die landlosen Bäuerinnen und Bauern Nutzungsrechte hatten und die sie zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse brauchten. Auch aktuell spielen Commons eine wichtige Rolle für Ernährungssouveränität, auf dem Land, aber – auch wenn es auf den ersten Blick erstaunlich sein mag – zunehmend auch in den Städten.

Das Streben nach Ernährungssouveränität nimmt dort vielfältige Formen an: von der Verwertung weggeworfener oder abgelaufener Lebensmittel durch Containern/Dumpstern und den Aufbau von Volxküchen oder der Nutzung von freien Ernteplätzen, Food-Coops und CSA, bis hin zu den verschiedenen Formen des „urban gardening“.

Die Ziele, die damit verfolgt werden, sind ebenso vielfältig. Beim Containern und in Volxküchen geht es häufig explizit um die Entwicklung alternativer Wirtschafts- und Lebensformen, bei der Suche und Kartierung von Selbsternteplätzen geht es darum, Lebensmittel nicht verderben zu lassen, aber auch um den Spaß der gemeinsamen Tätigkeit beim Ernten und Verwerten. Bei der Kooperation mit Produzent*innen im ländlichen Raum ist das Ziel die direkte Solidarität, wobei sich die Kämpfe um Ernährungssouveränität in Stadt und Land verbinden.

Eine besondere Bedeutung unter den „urban commons“ haben Gemeinschaftsgärten. Sie verstärken soziale Beziehungen durch gemeinsames Arbeiten, ermöglichen dabei häufig gerade auch Migrant*innen selbstbestimmte Aktivität, sie verringern Abhängigkeiten, machen gesunde Nahrung auch für sozial Benachteiligte zugänglich, vermitteln das Gefühl einer gewissen Autonomie; in Krisenfällen ist die Grundversorgung gesichert.

In welcher Stadt wollen wir leben?  

Alle diese Initiativen geben Menschen die Kontrolle über Teilbereiche ihres Lebens zurück, sie vergrößern die Entscheidungsspielräume in Bezug auf den Zugang zu Nahrungsmitteln und bieten die Möglichkeit zu gemeinsamem, selbstbestimmtem und sinnstiftendem Tätigsein im Gegensatz zu entfremdeter Lohnarbeit oder Arbeitslosigkeit.

Für Kommunalpolitiker*innen heißt das, bei der Planung nachhaltiger Städte und Gemeinden nicht nur technologische, sondern auch soziale Innovation zu ermöglichen, die autonome Nutzung von Land und Räumen nicht zu verbieten und zu kriminalisieren, sondern zu fördern und zu unterstützen. Das bedeutet Raum für Umsonstläden und Tauschkreise, für Reparaturbetriebe und offene Werkstätten. Es bedeutet eine Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen und Baugruppen oder die Stärkung der Vernetzung mit den Produzent*innen aus der Umgebung,damit regionale Wirtschaftskreisläufe entstehen können. Damit wird nicht nur die Lebensqualität in der Stadt verbessert, sondern auch die Autonomie und Ernährungssouveränität der Bürger*innen. Ein gutes Beispiel für die Steigerung der Lebensqualität durch die Rückgabe öffentlicher Räume an die Bewohner*innen sind „essbare“ Städte oder Gemeinden. In Österreich gibt es Ansätze dazu in Wiener Neustadt, Linz und Übelbach in der Steiermark. Kurz: „Gemeinsamer Besitz statt privates Eigentum! Nichteigentumsorientierte Modelle, die selbstorganisiert und selbstverwaltet werden, gehören auf die Prioritätenliste aller Kommunen“ (aus Fünf Thesen zu Commons und Kommunalpolitik).

Wenn Bäume zu Commons werden

Gastbeitrag von der Commons-Aktivistin Brigitte Kratzwald für Linz Pflückt. Frau Kratzwald betreibt einen Blog und schrieb ihm im Commons Buch der Heinrich Böll Stiftung den Artikel „Commons und das Öffentliche“.

Linz. Als ich ein Kind war, stand das für Schwerindustrie und war der Inbegriff für die Erfolge der österreichischen Nachkriegswirtschaft. Wenig später dann, als saurer Regen, Waldsterben und Atemwegserkrankungen die Grenzen dieses Erfolgsmodells aufzeigten, wurde es zum Synonym für schlechte Luft und Umweltverschmutzung, ähnlich dem Ruhrgebiet in Deutschland. Linz hat den Strukturwandel geschafft, von der Stahlstadt zur Stadt der Elektronikindustrie, zur Stadt der Forschung, Innovation und Kunst und der gelungenen Symbiose dieser Elemente in der ars electronica. Seit wenigen Jahren geht Linz wieder einmal neue Wege, es bezeichnet sich als „Open Commons Region“.

Im ersten Schritt ging es darum, Daten und Wissen frei zugänglich zu machen und die BürgerInnen zu motivieren, diese auch zu nutzen und selbst damit zu arbeiten. Die Teilhabe am freien Wissen wurde gefördert durch freien Internetzugang und freien Webspace für Alle und die Verwendung von Open Source Software. Heute kann man nahezu an jedem Platz der Stadt, neuerdings sogar in den Straßenbahnen, frei im Internet surfen. Die Herstellung und Verbreitung von Lehrmaterial und sonstigen Informationen unter Creative Commons Lizenzen wird mit Rat und Tat gefördert, in Zusammenarbeit mit Schulen, Universitäten und Unternehmen. Das ist schön. Doch es ist sicher erst ein Anfang. Denn Commons bedeuten viel mehr als freies Wissen.

Darum passt es gut zu einer Open Commons Region, die städtischen Grünflächen mit Obstbäumen zu bepflanzen, dabei auf Artenvielfalt zu achten und alte Sorten wieder zu entdecken. Mit der Karte der Obstbäume leistet Linz Pflückt einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen der Stadt diese Obstbäume zu ihren Commons machen können, zu etwas, um das sie sich gemeinsam kümmern und das sie gemeinsam nutzen. Commons sind ein Kreislauf von geben und nehmen, zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Ressourcen, in diesem Fall den Obstbäumen.

stadtfruchtLinz reiht sich damit in eine ständig wachsende Zahl anderer Städte ein, die ebenfalls auf den Zug der Zeit aufgesprungen sind und sich in essbare Städte verwandeln. Die Wege dazu sind durchaus unterschiedlich. Den Ausgang nahm diese Bewegung in der englischen Kleinstadt Todmorden, wo einige wenige AktivistInnen begannen in „Guerilla-Manier“ mehr und mehr Essbares zwischen die üblichen Parkpflanzen zu schmuggeln. Gar nicht so einfach am Anfang, denn das Angebot, etwas frei entnehmen zu dürfen, macht Menschen oft misstrauisch, oder sie trauen sich einfach nicht. Wir sind heute so daran gewöhnt, für alles, was wir bekommen, zahlen zu müssen, dass es uns verunsichert, wenn wir etwas einfach geschenkt bekommen. Todmorden ist inzwischen zur Vorzeigestadt geworden, ebenso wie das deutsche Städtchen Andernach. Meist sind es einige engagierte Personen, die auf aufgeschlossene GemeindepolitikerInnen treffen und solche Initiativen in die Wege leiten. So etwa die Attac Gruppe in Wiener Neustadt oder PermakulturaktivistInnen in der steirischen Gemeinde Übelbach. Andere, wie die Initiative Stadtfrucht Wien arbeiten noch daran, Unterstützung bei der Politik zu finden.

Essbare Städte stehen für viele verschiedene Aspekte gesellschaftlichen Wandels. Zum einen geht es darum, den öffentlichen Raum den Bürgerinnen und Bürgern wieder als den „ihren“ zugänglich und nutzbar zu machen. Aus diesem Prozess der gemeinsamen Nutzung und Pflege entstehen jedoch auch neue soziale Beziehungen. Menschen, die sonst kaum zusammen kommen, lernen sich kennen, altes Wissen wird wieder erweckt und ausgetauscht, es wird gemeinsam gekocht und gegessen, was dem sozialen Zusammenhalt ebenso gut tut, wie der Lebensqualität in der Stadt. Es geht um eine andere Art der „Inwertsetzung“, nicht für Investoren, die angelockt werden sollen, sondern für die Menschen, die dort wohnen. Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage einer zukunftsfähigen Nahrungsmittelproduktion, um Resilienz durch die Rückbesinnung auf regionale und saisonale Ernährung. Das kann gelingen. wenn die Menschen nicht nur ernten, sondern die Obstgärten in dem Sinn zu ihrem machen, dass sie dort auch gemeinsam ihre Freizeit verbringen und sich gemeinsam für ihre Pflege und Erhaltung verantwortlich fühlen. Linz ist auf einem guten Weg, wir warten mit Spannung auf die weiteren Schritte der Open Commons Region!

Recht auf Marmelade!

recht-auf-marmelade1Seid August sammelt die Künstlerinnengruppe Kuserutzky Klan gemeinsam mit der Initiative Stadtfrucht Wien Unterschriften für eine Petition für Obstbaum-Commons in Wien. Die Petition unter dem Titel Recht auf Marmelade richtet sich an die Stadt Wien und hat das Ziel, mehr und auch seltene Obstbäume in die Stadt zu bringen.

Laut diesem Bericht des Standards hat das Projekt aber nicht nur eine kulinarische Bedeutung. Der Initiator der Petition Peter Krobath erklärt: „Der Titel ist ein direkter Verweis auf die ‚Recht auf Stadt‘-Bewegung, die ein neues Verständnis von Urbanität hat und einfordert.“ Die Bäume sollen Urban Commons sein, also städtische Gemeingüter, die allen frei zur Verfügung stehen und gemeinschaftlich genutzt werden. „Dabei geht es darum, die Verwertung von Ressourcen nicht über Profitstreben zu organisieren.“

Die Forderungen im Einzelnen:
1. Zehn Prozent der vom Wiener Stadtgartenamt auf öffentlichen Flächen gepflanzten Bäume sollen Obstbäume sein (zum Großteil seltene Sorten), zehn Prozent der Sträucher sollen Fruchtsträucher sein.

Im Vergleich dazu die Daten der Stadt Linz. Insgesamt scheinen im Baumkataster 18513 Bäume auf, davon haben wir 2095 als Obstbäume identifiziert und als Basis für Linz Pflückt verwendet. Das heißt, dass in Linz über 11 Prozent der öffentlichen Bäume Obstbäume sind, davon auch viele seltene Sorten wie zB. im Obstbaumgarten Margarethen.

2.Gruppen von Bürger_innen sollen die Möglichkeit haben, sich als Baumpat_innen um die Obstbäume in ihrer Nähe selbst zu kümmern.

Diese Aufgabe kommt in Linz alleinig den Stadtgärten zu. Die Forderung ist aber sehr interessant, vor allem in Hinsicht auf ein erhöhtes Bewusstsein der Bevölkerung dass es sich bei den Obstbäumen um ein städtisches Gemeingut handelt.

3.Obstbäume sollen in Wien als Nachpflanzungen zugelassen sein.

Das Stadtgartenamt in Wien gibt verschiedenste Probleme an das vermehrte Setzen von Obstbäumen verhindern, darunter Geruchsbelästigung und Wespenplagen. Auch in Linz gab es anscheinend Beschwerden der Bevölkerung die die Stadt dazu veranlasste Obstbäume in Obstbaumgärten zu konzentrieren.

Hinweis: Um die Initiative einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, fährt am 21. September im Rahmen der WienWoche 2013 eine JAM-TRAM durch die Wiener Innenstadt.

Das Mundräuberhandbuch

mundraubEndlich halten wir das Mundräuberhandbuch in unseren Händen und lesen über Entstehung der Idee hinter mundraub.org. Dieses großartige Projekt hatte natürlich Einfluss auf die Entstehung von Linz Pflückt. Auch wenn mundraub.org im Unterschied zu Linz Pflückt auf Crowdsourcing basiert und daher viel stärker von den Benutzern und dessen Beteiligung abhängt, zeigen beide Projekte wie digitale und natürliche Gemeingüter sich fruchtbar ergänzen können.

Die globale und einschließende Sicht auf Themen rund ums Obst des Projekts spiegelt sich auch im Mundräuberhandbuch wieder. Einerseits wird der theoretische Rahmen zu Mundraub und Obstallmende abgesteckt und an Schlagwörtern wie Arterhaltung, Kulturlandschaft und Lebensqualität aufgezeigt. Andererseits ist es natürlich vor allem ein praktisches Handbuch das Tipps zu Ernte und Verarbeitung von Obst und zu Pflanzen und Pflege von Obstbäumen gibt.

Insgesamt ein sehr gelungenes Werk für alle Obstliebhaber und Interessierte zum Thema Gemeingüter. Die Untertitel des Buches „Freies Obst für freie Bürger“ und „Tipps, Regeln und Geschichten zur Wiederentdeckung unserer Obstallmende“ beschreiben sehr gut den Inhalt des Buches. Es wurde von Kai Gildhorn, Madeleine Zahn und Katharina Frosch herausgegeben und kann auf dieser Seite von mundraub.org bestellt werden.

Im folgenden reproduzieren wir ein Kapitel des Mundräuberhandbuchs der dem Buch „Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat“ der Heinrich-Böll-Stiftung entnommen ist.

Mundraub? Allmendeobst! von Katharina Frosch

Spätsommer 2009, in einer ländlichen Gegend im Osten Deutschlands: Flirrende Hitze, der süßlich-schwere Geruch vergärenden Obstes liegt in der Luft. Ein Baum saftiger Birnen, zu seinen Füßen liegen knöchelhoch verfaulende Früchte. Nur ein Steinwurf entfernt Sträucher mit wilden Pflaumen und Mirabellen, Holunderbü­sche und ab und an ein Apfelbaum, vielleicht sogar eine alte, seltene Sorte? Eine Fülle an frischem Obst – in durchschnittlichen Jahren sind es sehr viel mehr, als Vögel, Insekten und andere Tiere als Nahrung benötigten – vergessen, verlassen, ungenutzt.

Gehört dieses Obst uns allen? Dürfen wir es ernten? Derzeit gibt es zumindest in Deutschland keine herrenlosen Bäume: Streuobstwiesen außerhalb von Sied­lungen gehören meist Privatpersonen, selbst wenn sie nicht umzäunt sind. Die kilometerlangen Obstbaumalleen, die das Landschaftsbild in den neuen Bundesländern prägen, gehören Kommunen, Land oder dem Bund, fruchtige Parkbäume den Städten. Obst zu ernten, ohne die jeweiligen Eigentümer um Erlaubnis zu fragen, kommt demnach schlicht und einfach Diebstahl gleich.

Die Fülle an in Vergessenheit geratenem Obst im öffentlichen Raum und die fehlenden Informationen über die jeweiligen Eigentumsrechte – dies zusammen kommt einem Aufruf zum Handeln gleich. Wen fragen wir, wenn wir auf einen offensichtlich in Vergessenheit geratenen, brechend vollen Obstbaum stoßen, der sich uns geradezu anbietet? Die Webplattform http://www.mundraub.org lädt dazu ein, solche Bäume auf einer interaktiven Karte einzutragen (zu »taggen«), und Standortinformationen über bereits eingetragene Bäume abzurufen, die be­erntet werden können.

Auf der Startseite rufen einige grundlegende Regeln aber auch dazu auf, Privateigentum zu respektieren und darauf zu achten, den Bäumen und der umliegenden Flora und Fauna keinen Schaden zuzufügen – kurz: sich fair zu verhalten.

Seit dem Start im Jahr 2009 haben mehr als eine halbe Million Menschen auf die Webseite zugegriffen. Mehrere Hundert arbeiten aktiv an der Online-Obstbaumkarte mit. Ungefähr 3000 Fundstellen sind bisher eingetragen. Grobgeschätzt entspricht dies 20.000 bis 30.000 Obstbäumen. Ist diese Wiederentdeckung von Allmendeobst basierend auf der Mundraub-Map ein weiteres Beispiel für Elinor Ostroms Theorie, wie Menschen gemeinschaftlich und selbstorganisiert ein Kollektivgut effektiv nutzen und dauerhaft bewahren können?

Allen Unkenrufen zum Trotz, dass nun Horden rücksichtsloser, hungriger Städter über private Obstplantagen in ländlichen Gegenden herfallen und die an­sässigen Landwirte in den Ruin treiben würden, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass seit dem Start der Mundraub-Initiative mehr Obst gestohlen wurde oder mehr Schäden entstanden sind als gewöhnlich. Die Nutzer übernehmen intuitiv Ver­antwortung: Mehr als einmal wurde eine Fundstelle auf allgemeinen Wunsch der Nutzer aus dem Netz genommen und damit »unsichtbar« gemacht, um den Ort vor Übernutzung zu bewahren.

Viele der mehr als 150 Presseartikel über die Mundraub-Initiative titeln »Gra­tisobst für alle«. Doch die meisten Nutzer fühlen sich der Idee des Teilens und des »Crowdsourcing« (Crowdsourcing bezieht sich hier auf die kollaborative und selbstorganisierte Samm­lung und Pflege von Informationen zu Allmendeobstbäumen durch eine Vielzahl von eigen motivierten, den Plattformbetreibern weitestgehend unbekannten Akteuren auf http://www.mundraub.org) stark verbunden. Umsonst Obst zu ernten steht hinter dem Gedanken zurück, etwas beitragen zu wollen: Sie tragen Bäume ein, starten Dis­kussionen über botanische Details, verbreiten Rezepte oder alte Kulturtechniken in Verbindung mit lokalen Obstsorten weiter, und – besonders wertvoll! – sie er­ zählen wundervolle Anekdoten über die Fundstellen.

Die Informationen auf http://www.mundraub.org über die Standorte von Obst­bäumen, die Eigentumsverhältnisse und einige wenige »Benimmregeln« helfen den Mundräubern also tatsächlich, gemeinsam Verantwortung für diese Fruchtfülle zu übernehmen: selbstorganisiert, jenseits von Markt und Staat und ganz im Sinne der »Ostrom-Schule«.

Ein langer Weg liegt aber noch vor uns, um diese wiederentdeckte Allmende zu erhalten. So brauchen Obstbäume regelmäßig fachkundige Pflegeschnitte, mit­ unter auch Nachpflanzungen. Doch der erste Schritt ist getan.

Katharina Frosch (Deutschland) ist Ökonomin und arbeitet zu sozialer Innovation in der urbanen Landwirtschaft. Sie ist Mitbegründerin von http://stadtgarten.org sowie http://mundraub.org (vom Rat für Nachhaltige Entwicklung mit dem Nachhaltigkeitspreis 2009 ausgezeichnet).

aus: Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld: Transscript Verlag. S. 273-274. Das Buch kann als PDF hier downgeloaded werden.

Obstbaumgarten Margarethen am Freinberg

margarethenwegEin ziemlich einzigartiges Projekt zur Erhaltung alter Obstbaumsorten betreibt die Stadt Linz: In fünf Obstbaumgärten werden Sorten herangezogen die vom Aussterben bedroht sind. Durch Aufpfropfen von Zweigen ist es gelungen, vom Aussterben bedrohte Apfelarten, wie zum Beispiel „Kronprinz Rudolph“, „Geheimrat Dr. Oldenburg“ und „Kaiser Wilhelm“, heranzuziehen. Dadurch leistet die Stadt Linz einen Beitrag zur Erstellung eines Genpools für Obstsorten. Und ein netter Nebeneffekt: Die Früchte dürfen zur Reifezeit gratis gepflückt und deren Fallobst geklaubt werden.

tafelWir besuchten den ältesten dieser Gärten am Margarethenweg Richtung Zaubertal. Er wurde 1998 auf einer Größe von 7.700 m² angelegt und beherbergt ca. 100 Bäume. Neben den schon genannten Apfelsorten gedeihen dort seltene Birnensorten wie die „Gräfin von Paris“, sowie verschiedene Kirschensorten, Quitten, Mostbirnbäume und Wildobstgehölze. Er ist der einzige der bis jetzt Früchte trägt, die anderen vier Gärten im Hummelhofwald, bei der Feuerwache Nord, am Biesenfeld und am Kampmüllerweg wurden erst zwischen 2008 und 2013 angelegt.

flachs-gulderlingJeder Baum trägt eine Hinweistafeln auf denen der botanische Name, Herkunftsort sowie ungefähres Datum der Erstzucht erläutert werden. Im Bild das Sortenschild eines Tiroler Flachs Gulderling, gezüchtet um 1880 in Schwarz. Jedermann/-frau darf in Haushaltsmengen Früchte pflücken und Fallobst sammeln. Die Stadtgärten weisen darauf hin dass die Bäume und die Natur geschont werden müssen, so wie man es im eigenen Garten machen würde. Bei unserem Besuch haben wir schon heranwachsende Äpfel gesichtet, im Bild Prinzenäpfel.

prinzenapfelEine ausgezeichnete Initiative der Stadt Linz zur Erhaltung der Kulturlandschaft und der Biodiversität.

Anmerkung: Um mehr über alte Obstsorten zu erfahren, empfehlen wir die Obstdatenbank des BUND Lemgo die eine gute Sammlung von Bildern und Beschreibungen alter Obstsorten bietet. Aber auch Wikipedia hat Information zu viele seltene Sorten, hier zB. die Liste aller Apfelsorten.

In Linz beginnt’s

app

Screenshot der mobilen Version

Rechtzeitig zum Linzfest 2013 öffnen wir die Pforten. Linz Pflückt zeigt mehr als 2000 öffentliche Obstbäume der Stadt. Die Basisdaten stammen von den Stadtgärten Linz und enthalten Informationen zu Art, Gattung, Baumhöhe usw. ergänzt um Informationen wie Reifezeit und Früchtekategorie.

Die Früchte der Bäume sind frei verfügbares Gemeingut, das von jeder Person gepflückt und gegessen werden darf! Schauen Sie sich die Bäume an und lassen Sie sich die Früchte schmecken!

Sie als Obstfan sind eingeladen, die Früchte zu bewerten, die Bäume zu kommentieren und um Fotos anzureichern. Durch Ihre Information gewinnt das Projekt an Nutzbar- und Nützlichkeit.

Linz Pflückt wurde von Manuel Hochreiter, Katharina Kaiser, Gerald Kogler und Michael Weichselbaumer, Studierende des Instituts für Wirtschaftsinformatik – Software Engineering der JKU in Kooperation mit der Open Commons Region Linz entwickelt.

Linz Pflückt ist auch als App für Android-Geräte verfügbar. Besitzer anderer Mobiltelefone können die mobile Version über die Webseite verwenden.

Unser Dank ergeht an Christian Wirth (Bereitstellung des Servers von LinzWiki), Stefan Schiffer (Betreuung des Projektes als LVA Leiter JKU), Wolfgang Almer (Auftraggeber als Büro Linz Kultur) und Stefan Pawel (Open
Commons-Beauftragter der Stadt Linz), ohne die dieses Projekt in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.