Gemeinschaftsgärten in Linz

Der Trend zur Rückkehr zur eigenen Lebensmittelproduktion macht auch vor Linz nicht halt. Was früher als Schrebergarten und Gartln („Gärtnern“) bezeichnet wurde, heißt heute auf gut Neudeutsch Urban Gardening. Und doch geht dieser Begriff etwas weiter, da er das gemeinsame und soziale unterstreicht und sich als Gemeingut versteht.

Linz Pflückt versteht sich als Teil dieser Bewegung – trotz des elementaren Unterschieds, dass die städtischen Linzer Obstbäume von oben verordnet und von der Stadt gepflegt werden, d.h. sich zwar als Gemeingut im öffentlich Raum verstehen, im Gegensatz zu anderen Initiativen aber nicht eigenverantwortlich verwaltet werden.

Brigitte Kratzwald nennt in ihrem Artikel internationale Beispiele wie Todmorden und Andernach, aber auch österreichische wie Wiener Neustadt und Übelbach.

Foto: Jose Pozo_urbanfarm

Interkultureller Gemeinschaftsgarten Tabakfabrik, Foto: Jose Pozo_urbanfarm

Auf unserer Karte haben wir einige interessante Initiativen eingezeichnet, die dazu beitragen, Linz in eine essbare Stadt zu verwandeln. Es handelt sich zum Großteil um Gemeinschaftsgärten, die in den letzten Jahren im Stadtgebiet entstanden sind. Die Liste versteht sich als Work in Progress und ist natürlich offen für weitere Projekte.

Im Stadtzentrum sind seid 2012 mehrere Initiativen entstanden. Der Donaugarten Alt-Urfahr entstand auf einem Grundstück der Stadt, die Initiative Wachstumsphase betreibt einen Gemeinschaftsgarten in der Tabakfabrik. Im Flüchtlingsheim von SOS Menschenrechte in der Rudolfstraße gibt es einen Garten der von den Flüchtlingen betreut wird.

In der KAPU wird unter dem Namen „Essbare Stadt“ gegärtnert, die Stadtwerkstatt experimentiert mit Deckdock 2135. Erwähnenswert – wenn auch nicht auf unserer Karte – ist auch das Augmented Urban Gardens Projekt von Time’s Up.

Der Hafengarten ist das letzte landwirtschaftlich genutzte Grundstück mitten im Industriegebiet, am Fuße des Pöstlingbergs öffnet die Leisenhof Gärtnerei ihre Gartentore für Interessierte. Neu eröffnet wird heuer der Garten der Vielfalt in Plesching.

Weitere gemeinschaftsfördernde Projekte rund ums Urban Gardening in Linz und Umgebung findet ihr bei Stadtgrün und beim Bodenbündnis vor.

 

Städtische Ernährungssouveränität

Weltweit treten soziale Bewegungen für Ernährungssouveränität ein, es geht ihnen um eine neue, demokratische Gestaltung unseres Agrar- und Lebensmittelsystems. Die zweite Auflage der Broschüre Ernährungssouveränität ist eine Sammlung von Ideen, Ansatzpunkten und Alternativen zum Recht auf Nahrung.

Der folgende Artikel beschäftigt sich mit städtischer Ernährungssouveränität und stammt aus der Feder von Brigitte Kratzwald. Sie ist Sozialwissenschafterin und arbeitet zum Thema Commons. Er steht unter CC BY-NC-SA.

stadtlandStadtbewohner*innen werden in Bezug auf Ernährung oft nur als Konsument*innen wahrgenommen. Ernährungssouveränität in der Stadt hängt dann von verschiedenen Faktoren ab. Von ausreichendem Einkommen, von der Erreichbarkeit der Geschäfte, von der Mobilität und von der angebotenen Auswahl an Nahrungsmitteln. Sie kann somit auf unterschiedliche Arten erlangt werden: durch höhere Löhne oder durch die Verbesserung des Angebots an biologisch und fair produzierten Produkten, oft erst auf Druck der Konsument*innen. Ernährungssouveränität und nachhaltige Ressourcennutzung gehen häufig Hand in Hand. Kommunalpolitik hat dabei einen großen Einfluss auf die Ernährungssouveränität der Bürger*innen durch die Planung kurzer Wege, durch den Erhalt der Nahversorgung oder durch den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Durch Sozialpolitik kann ein ausreichendes Einkommen gesichert werden. All das entspricht immer weniger der Realität vieler Menschen in den Städten.

Die Stadt gehört uns!

Die Stadt ist nicht nur gebaute Umwelt. Sie ist auch ein Erzeugnis des alltäglichen Lebens. Sie spiegelt die Abhängigkeiten, Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten, die das Leben kennzeichnen, und bringt diese mit hervor. Dies zu verändern ist für Ernährungssouveränität zentral. Die Kämpfe um Ernährungssouveränität in den Städten sind somit verbunden mit anderen Kämpfen. Denen gegen prekäre Arbeitsbedingungen und denen um die Aneignung des öffentlichen Raumes. Wer macht die neoliberale Stadt? Wer profitiert von ihr? Unter dem Motto „Recht auf Stadt“ stellen Menschen den Anspruch auf Mitgestaltung ihrer Lebenswelt, eignen sich Räume an, um sie für ihre Zwecke selbstverwaltet zu verwenden. Sie schaffen „urban commons“.

Commons bedeutet die gemeinsame, selbstorganisierte Nutzung von Ressourcen, die einer Gruppe von Nutzer*innen entweder als „Gabe“ (der Natur oder einer Person) zugefallen sind, die kollektiv hergestellt oder aktiv angeeignet wurden. Historisch handelte es sich um Land, auf das die landlosen Bäuerinnen und Bauern Nutzungsrechte hatten und die sie zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse brauchten. Auch aktuell spielen Commons eine wichtige Rolle für Ernährungssouveränität, auf dem Land, aber – auch wenn es auf den ersten Blick erstaunlich sein mag – zunehmend auch in den Städten.

Das Streben nach Ernährungssouveränität nimmt dort vielfältige Formen an: von der Verwertung weggeworfener oder abgelaufener Lebensmittel durch Containern/Dumpstern und den Aufbau von Volxküchen oder der Nutzung von freien Ernteplätzen, Food-Coops und CSA, bis hin zu den verschiedenen Formen des „urban gardening“.

Die Ziele, die damit verfolgt werden, sind ebenso vielfältig. Beim Containern und in Volxküchen geht es häufig explizit um die Entwicklung alternativer Wirtschafts- und Lebensformen, bei der Suche und Kartierung von Selbsternteplätzen geht es darum, Lebensmittel nicht verderben zu lassen, aber auch um den Spaß der gemeinsamen Tätigkeit beim Ernten und Verwerten. Bei der Kooperation mit Produzent*innen im ländlichen Raum ist das Ziel die direkte Solidarität, wobei sich die Kämpfe um Ernährungssouveränität in Stadt und Land verbinden.

Eine besondere Bedeutung unter den „urban commons“ haben Gemeinschaftsgärten. Sie verstärken soziale Beziehungen durch gemeinsames Arbeiten, ermöglichen dabei häufig gerade auch Migrant*innen selbstbestimmte Aktivität, sie verringern Abhängigkeiten, machen gesunde Nahrung auch für sozial Benachteiligte zugänglich, vermitteln das Gefühl einer gewissen Autonomie; in Krisenfällen ist die Grundversorgung gesichert.

In welcher Stadt wollen wir leben?  

Alle diese Initiativen geben Menschen die Kontrolle über Teilbereiche ihres Lebens zurück, sie vergrößern die Entscheidungsspielräume in Bezug auf den Zugang zu Nahrungsmitteln und bieten die Möglichkeit zu gemeinsamem, selbstbestimmtem und sinnstiftendem Tätigsein im Gegensatz zu entfremdeter Lohnarbeit oder Arbeitslosigkeit.

Für Kommunalpolitiker*innen heißt das, bei der Planung nachhaltiger Städte und Gemeinden nicht nur technologische, sondern auch soziale Innovation zu ermöglichen, die autonome Nutzung von Land und Räumen nicht zu verbieten und zu kriminalisieren, sondern zu fördern und zu unterstützen. Das bedeutet Raum für Umsonstläden und Tauschkreise, für Reparaturbetriebe und offene Werkstätten. Es bedeutet eine Förderung gemeinschaftlicher Wohnformen und Baugruppen oder die Stärkung der Vernetzung mit den Produzent*innen aus der Umgebung,damit regionale Wirtschaftskreisläufe entstehen können. Damit wird nicht nur die Lebensqualität in der Stadt verbessert, sondern auch die Autonomie und Ernährungssouveränität der Bürger*innen. Ein gutes Beispiel für die Steigerung der Lebensqualität durch die Rückgabe öffentlicher Räume an die Bewohner*innen sind „essbare“ Städte oder Gemeinden. In Österreich gibt es Ansätze dazu in Wiener Neustadt, Linz und Übelbach in der Steiermark. Kurz: „Gemeinsamer Besitz statt privates Eigentum! Nichteigentumsorientierte Modelle, die selbstorganisiert und selbstverwaltet werden, gehören auf die Prioritätenliste aller Kommunen“ (aus Fünf Thesen zu Commons und Kommunalpolitik).

Wenn Bäume zu Commons werden

Gastbeitrag von der Commons-Aktivistin Brigitte Kratzwald für Linz Pflückt. Frau Kratzwald betreibt einen Blog und schrieb ihm im Commons Buch der Heinrich Böll Stiftung den Artikel „Commons und das Öffentliche“.

Linz. Als ich ein Kind war, stand das für Schwerindustrie und war der Inbegriff für die Erfolge der österreichischen Nachkriegswirtschaft. Wenig später dann, als saurer Regen, Waldsterben und Atemwegserkrankungen die Grenzen dieses Erfolgsmodells aufzeigten, wurde es zum Synonym für schlechte Luft und Umweltverschmutzung, ähnlich dem Ruhrgebiet in Deutschland. Linz hat den Strukturwandel geschafft, von der Stahlstadt zur Stadt der Elektronikindustrie, zur Stadt der Forschung, Innovation und Kunst und der gelungenen Symbiose dieser Elemente in der ars electronica. Seit wenigen Jahren geht Linz wieder einmal neue Wege, es bezeichnet sich als „Open Commons Region“.

Im ersten Schritt ging es darum, Daten und Wissen frei zugänglich zu machen und die BürgerInnen zu motivieren, diese auch zu nutzen und selbst damit zu arbeiten. Die Teilhabe am freien Wissen wurde gefördert durch freien Internetzugang und freien Webspace für Alle und die Verwendung von Open Source Software. Heute kann man nahezu an jedem Platz der Stadt, neuerdings sogar in den Straßenbahnen, frei im Internet surfen. Die Herstellung und Verbreitung von Lehrmaterial und sonstigen Informationen unter Creative Commons Lizenzen wird mit Rat und Tat gefördert, in Zusammenarbeit mit Schulen, Universitäten und Unternehmen. Das ist schön. Doch es ist sicher erst ein Anfang. Denn Commons bedeuten viel mehr als freies Wissen.

Darum passt es gut zu einer Open Commons Region, die städtischen Grünflächen mit Obstbäumen zu bepflanzen, dabei auf Artenvielfalt zu achten und alte Sorten wieder zu entdecken. Mit der Karte der Obstbäume leistet Linz Pflückt einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen der Stadt diese Obstbäume zu ihren Commons machen können, zu etwas, um das sie sich gemeinsam kümmern und das sie gemeinsam nutzen. Commons sind ein Kreislauf von geben und nehmen, zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Ressourcen, in diesem Fall den Obstbäumen.

stadtfruchtLinz reiht sich damit in eine ständig wachsende Zahl anderer Städte ein, die ebenfalls auf den Zug der Zeit aufgesprungen sind und sich in essbare Städte verwandeln. Die Wege dazu sind durchaus unterschiedlich. Den Ausgang nahm diese Bewegung in der englischen Kleinstadt Todmorden, wo einige wenige AktivistInnen begannen in „Guerilla-Manier“ mehr und mehr Essbares zwischen die üblichen Parkpflanzen zu schmuggeln. Gar nicht so einfach am Anfang, denn das Angebot, etwas frei entnehmen zu dürfen, macht Menschen oft misstrauisch, oder sie trauen sich einfach nicht. Wir sind heute so daran gewöhnt, für alles, was wir bekommen, zahlen zu müssen, dass es uns verunsichert, wenn wir etwas einfach geschenkt bekommen. Todmorden ist inzwischen zur Vorzeigestadt geworden, ebenso wie das deutsche Städtchen Andernach. Meist sind es einige engagierte Personen, die auf aufgeschlossene GemeindepolitikerInnen treffen und solche Initiativen in die Wege leiten. So etwa die Attac Gruppe in Wiener Neustadt oder PermakulturaktivistInnen in der steirischen Gemeinde Übelbach. Andere, wie die Initiative Stadtfrucht Wien arbeiten noch daran, Unterstützung bei der Politik zu finden.

Essbare Städte stehen für viele verschiedene Aspekte gesellschaftlichen Wandels. Zum einen geht es darum, den öffentlichen Raum den Bürgerinnen und Bürgern wieder als den „ihren“ zugänglich und nutzbar zu machen. Aus diesem Prozess der gemeinsamen Nutzung und Pflege entstehen jedoch auch neue soziale Beziehungen. Menschen, die sonst kaum zusammen kommen, lernen sich kennen, altes Wissen wird wieder erweckt und ausgetauscht, es wird gemeinsam gekocht und gegessen, was dem sozialen Zusammenhalt ebenso gut tut, wie der Lebensqualität in der Stadt. Es geht um eine andere Art der „Inwertsetzung“, nicht für Investoren, die angelockt werden sollen, sondern für die Menschen, die dort wohnen. Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage einer zukunftsfähigen Nahrungsmittelproduktion, um Resilienz durch die Rückbesinnung auf regionale und saisonale Ernährung. Das kann gelingen. wenn die Menschen nicht nur ernten, sondern die Obstgärten in dem Sinn zu ihrem machen, dass sie dort auch gemeinsam ihre Freizeit verbringen und sich gemeinsam für ihre Pflege und Erhaltung verantwortlich fühlen. Linz ist auf einem guten Weg, wir warten mit Spannung auf die weiteren Schritte der Open Commons Region!