Gastbeitrag von der Commons-Aktivistin Brigitte Kratzwald für Linz Pflückt. Frau Kratzwald betreibt einen Blog und schrieb ihm im Commons Buch der Heinrich Böll Stiftung den Artikel „Commons und das Öffentliche“.
Linz. Als ich ein Kind war, stand das für Schwerindustrie und war der Inbegriff für die Erfolge der österreichischen Nachkriegswirtschaft. Wenig später dann, als saurer Regen, Waldsterben und Atemwegserkrankungen die Grenzen dieses Erfolgsmodells aufzeigten, wurde es zum Synonym für schlechte Luft und Umweltverschmutzung, ähnlich dem Ruhrgebiet in Deutschland. Linz hat den Strukturwandel geschafft, von der Stahlstadt zur Stadt der Elektronikindustrie, zur Stadt der Forschung, Innovation und Kunst und der gelungenen Symbiose dieser Elemente in der ars electronica. Seit wenigen Jahren geht Linz wieder einmal neue Wege, es bezeichnet sich als „Open Commons Region“.
Im ersten Schritt ging es darum, Daten und Wissen frei zugänglich zu machen und die BürgerInnen zu motivieren, diese auch zu nutzen und selbst damit zu arbeiten. Die Teilhabe am freien Wissen wurde gefördert durch freien Internetzugang und freien Webspace für Alle und die Verwendung von Open Source Software. Heute kann man nahezu an jedem Platz der Stadt, neuerdings sogar in den Straßenbahnen, frei im Internet surfen. Die Herstellung und Verbreitung von Lehrmaterial und sonstigen Informationen unter Creative Commons Lizenzen wird mit Rat und Tat gefördert, in Zusammenarbeit mit Schulen, Universitäten und Unternehmen. Das ist schön. Doch es ist sicher erst ein Anfang. Denn Commons bedeuten viel mehr als freies Wissen.
Darum passt es gut zu einer Open Commons Region, die städtischen Grünflächen mit Obstbäumen zu bepflanzen, dabei auf Artenvielfalt zu achten und alte Sorten wieder zu entdecken. Mit der Karte der Obstbäume leistet Linz Pflückt einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen der Stadt diese Obstbäume zu ihren Commons machen können, zu etwas, um das sie sich gemeinsam kümmern und das sie gemeinsam nutzen. Commons sind ein Kreislauf von geben und nehmen, zwischen den Menschen und zwischen Menschen und Ressourcen, in diesem Fall den Obstbäumen.
Linz reiht sich damit in eine ständig wachsende Zahl anderer Städte ein, die ebenfalls auf den Zug der Zeit aufgesprungen sind und sich in essbare Städte verwandeln. Die Wege dazu sind durchaus unterschiedlich. Den Ausgang nahm diese Bewegung in der englischen Kleinstadt Todmorden, wo einige wenige AktivistInnen begannen in „Guerilla-Manier“ mehr und mehr Essbares zwischen die üblichen Parkpflanzen zu schmuggeln. Gar nicht so einfach am Anfang, denn das Angebot, etwas frei entnehmen zu dürfen, macht Menschen oft misstrauisch, oder sie trauen sich einfach nicht. Wir sind heute so daran gewöhnt, für alles, was wir bekommen, zahlen zu müssen, dass es uns verunsichert, wenn wir etwas einfach geschenkt bekommen. Todmorden ist inzwischen zur Vorzeigestadt geworden, ebenso wie das deutsche Städtchen Andernach. Meist sind es einige engagierte Personen, die auf aufgeschlossene GemeindepolitikerInnen treffen und solche Initiativen in die Wege leiten. So etwa die Attac Gruppe in Wiener Neustadt oder PermakulturaktivistInnen in der steirischen Gemeinde Übelbach. Andere, wie die Initiative Stadtfrucht Wien arbeiten noch daran, Unterstützung bei der Politik zu finden.
Essbare Städte stehen für viele verschiedene Aspekte gesellschaftlichen Wandels. Zum einen geht es darum, den öffentlichen Raum den Bürgerinnen und Bürgern wieder als den „ihren“ zugänglich und nutzbar zu machen. Aus diesem Prozess der gemeinsamen Nutzung und Pflege entstehen jedoch auch neue soziale Beziehungen. Menschen, die sonst kaum zusammen kommen, lernen sich kennen, altes Wissen wird wieder erweckt und ausgetauscht, es wird gemeinsam gekocht und gegessen, was dem sozialen Zusammenhalt ebenso gut tut, wie der Lebensqualität in der Stadt. Es geht um eine andere Art der „Inwertsetzung“, nicht für Investoren, die angelockt werden sollen, sondern für die Menschen, die dort wohnen. Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage einer zukunftsfähigen Nahrungsmittelproduktion, um Resilienz durch die Rückbesinnung auf regionale und saisonale Ernährung. Das kann gelingen. wenn die Menschen nicht nur ernten, sondern die Obstgärten in dem Sinn zu ihrem machen, dass sie dort auch gemeinsam ihre Freizeit verbringen und sich gemeinsam für ihre Pflege und Erhaltung verantwortlich fühlen. Linz ist auf einem guten Weg, wir warten mit Spannung auf die weiteren Schritte der Open Commons Region!