Fruchtbare Böden fürs Commoning

Nachfolgend reproduzieren wir einen Beitrag aus dem Buch „Wissen wuchern lassen – Ein Handbuch zum Lernen in urbanen Gärten“. Der Beitrag stammt von Miren Artola und betrachtet Gemeinschaftsgärten aus dem Blickwinkel der Allmende.

wissen wuchern lassen

Gemeinschaftsgärten sind ein gutes Beispiel für Stadtentwicklung von unten: Menschen gründen Gärten und nehmen damit Teil an der Gestaltung von Stadtraum. So entsteht ein unkommerzieller Erholungsort, den z.B. die Nachbar*innen eines Kiezes ihren Bedürfnissen entsprechend gestalten können, das beinhaltet neben räumlichen auch immer soziale und politische Dimensionen. Diese bewusst und aktiv zu gestalten, kann dennoch leicht aus dem Blick geraten beim Einsatz und dem Wirbel um die ganzen praktischen, materiellen und formellen Anliegen. Deshalb wollen wir euch hier zum Schluss das Prinzip der Allmende ans Herz legen, das wir – wie der Name unserer Initiative schon zum Ausdruck bringt – als wegweisend empfinden.

In aller Kürze: Was bedeutet eigentlich Allmende? Allmende ist die deutsche Übersetzung für Commons. Klassischerweise bezeichneten Allmenden Weiden oder Wälder, die von einer Gemeinde gemeinsam genutzt und gepflegt wurden. Produktiv nutzbarer Boden ist aber keineswegs die Haupteigenschaft, die Allmenden – und schon gar nicht moderne Allmenden – ausmacht. Laut Silke Helfrich (2009) bringen Commons eine soziale Beziehung zum Ausdruck. Es gibt sie überall dort, wo Menschen gemeinschaftlich eine Ressource schaffen, benutzen und pflegen und gemeinsam die Zugangs- und Nutzungsrechte auf diese Ressource gestalten. Diese Gestaltung der Spielregeln ist ein ständiger Aushandlungs- und Organisationsprozess und wird Commoning genannt. Commons werden also durch das Commoning zwischen den beteiligten Menschen aktiv geschaffen und am Leben erhalten.

In diesem Kapitel haben wir an mehreren Stellen auf die Wichtigkeit von einem möglichst offenen und partizipativen Gründungsprozess hingewiesen. Dieser kann als Commoning gedacht und gestaltet werden: Wer, was, wie ist alles in Berührung mit den Ressourcen (Stadtraum, Boden, Pflanzen, Wasser etc.), die diesen Garten ausmachen? Die betreffenden Menschen mit ihren womöglich diversen Interessenlagen sollten dazu eingeladen werden, sich in den Aushandlungs- und Gestaltungsprozess und darüber hinaus im Alltag des Gartens zu beteiligen. Abgesehen von den Leuten, die den Garten gründen, und denjenigen, die dort gärtnern, sind auch andere Gruppen mit dem Geschehen im Garten in Berührung: die direkte Nachbarschaft, die den Garten noch als Brache kennt, lokale Akteure, die sich über Verbündete im Kiez freuen, die Stadtverwaltung, die für die ehemalige Brache eine Nutzung sieht, Projekte, die sich ebenfalls mit Gärten und verwandten Themen beschäftigen. Sie alle können etwas zu dieser neuen Allmende beitragen!

Sicherlich werden nicht alle gleichermaßen daran beteiligt sein, den Garten als räumlichen, sozialen und politischen Ort zu gestalten, und das ist gut so! Denn Commoning bedeutet auch das Verhältnis zwischen Teilhabe, Mitbestimmung und Verantwortung der Situation angepasst und gerecht zu vermengen (siehe Kapitel VI). Wie das im Konkreten aussieht, hängt von vielen Faktoren wie Arbeitsaufwand, vorhandenen fachlichen Kenntnissen, juristischem Rahmen etc. ab, und die kann man nicht voraussagen. Doch das Prinzip der Commons, kraftvoll und vielversprechend, verdient einen zentralen und sonnigen Platz in unseren Gärten – sie sollen gedeihen! Die Früchte sind mit Sicherheit vielfältig und überraschend.

Das Buch „Wissen wuchern lassen – Ein Handbuch zum Lernen in urbanen Gärten“ kann für 18 EUR im Buchladen erworben oder portofrei beim AG SPAK Verlag bestellt werden. Es steht online zum kostenlosen Download bereit.

Das Mundräuberhandbuch

mundraubEndlich halten wir das Mundräuberhandbuch in unseren Händen und lesen über Entstehung der Idee hinter mundraub.org. Dieses großartige Projekt hatte natürlich Einfluss auf die Entstehung von Linz Pflückt. Auch wenn mundraub.org im Unterschied zu Linz Pflückt auf Crowdsourcing basiert und daher viel stärker von den Benutzern und dessen Beteiligung abhängt, zeigen beide Projekte wie digitale und natürliche Gemeingüter sich fruchtbar ergänzen können.

Die globale und einschließende Sicht auf Themen rund ums Obst des Projekts spiegelt sich auch im Mundräuberhandbuch wieder. Einerseits wird der theoretische Rahmen zu Mundraub und Obstallmende abgesteckt und an Schlagwörtern wie Arterhaltung, Kulturlandschaft und Lebensqualität aufgezeigt. Andererseits ist es natürlich vor allem ein praktisches Handbuch das Tipps zu Ernte und Verarbeitung von Obst und zu Pflanzen und Pflege von Obstbäumen gibt.

Insgesamt ein sehr gelungenes Werk für alle Obstliebhaber und Interessierte zum Thema Gemeingüter. Die Untertitel des Buches „Freies Obst für freie Bürger“ und „Tipps, Regeln und Geschichten zur Wiederentdeckung unserer Obstallmende“ beschreiben sehr gut den Inhalt des Buches. Es wurde von Kai Gildhorn, Madeleine Zahn und Katharina Frosch herausgegeben und kann auf dieser Seite von mundraub.org bestellt werden.

Im folgenden reproduzieren wir ein Kapitel des Mundräuberhandbuchs der dem Buch „Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat“ der Heinrich-Böll-Stiftung entnommen ist.

Mundraub? Allmendeobst! von Katharina Frosch

Spätsommer 2009, in einer ländlichen Gegend im Osten Deutschlands: Flirrende Hitze, der süßlich-schwere Geruch vergärenden Obstes liegt in der Luft. Ein Baum saftiger Birnen, zu seinen Füßen liegen knöchelhoch verfaulende Früchte. Nur ein Steinwurf entfernt Sträucher mit wilden Pflaumen und Mirabellen, Holunderbü­sche und ab und an ein Apfelbaum, vielleicht sogar eine alte, seltene Sorte? Eine Fülle an frischem Obst – in durchschnittlichen Jahren sind es sehr viel mehr, als Vögel, Insekten und andere Tiere als Nahrung benötigten – vergessen, verlassen, ungenutzt.

Gehört dieses Obst uns allen? Dürfen wir es ernten? Derzeit gibt es zumindest in Deutschland keine herrenlosen Bäume: Streuobstwiesen außerhalb von Sied­lungen gehören meist Privatpersonen, selbst wenn sie nicht umzäunt sind. Die kilometerlangen Obstbaumalleen, die das Landschaftsbild in den neuen Bundesländern prägen, gehören Kommunen, Land oder dem Bund, fruchtige Parkbäume den Städten. Obst zu ernten, ohne die jeweiligen Eigentümer um Erlaubnis zu fragen, kommt demnach schlicht und einfach Diebstahl gleich.

Die Fülle an in Vergessenheit geratenem Obst im öffentlichen Raum und die fehlenden Informationen über die jeweiligen Eigentumsrechte – dies zusammen kommt einem Aufruf zum Handeln gleich. Wen fragen wir, wenn wir auf einen offensichtlich in Vergessenheit geratenen, brechend vollen Obstbaum stoßen, der sich uns geradezu anbietet? Die Webplattform http://www.mundraub.org lädt dazu ein, solche Bäume auf einer interaktiven Karte einzutragen (zu »taggen«), und Standortinformationen über bereits eingetragene Bäume abzurufen, die be­erntet werden können.

Auf der Startseite rufen einige grundlegende Regeln aber auch dazu auf, Privateigentum zu respektieren und darauf zu achten, den Bäumen und der umliegenden Flora und Fauna keinen Schaden zuzufügen – kurz: sich fair zu verhalten.

Seit dem Start im Jahr 2009 haben mehr als eine halbe Million Menschen auf die Webseite zugegriffen. Mehrere Hundert arbeiten aktiv an der Online-Obstbaumkarte mit. Ungefähr 3000 Fundstellen sind bisher eingetragen. Grobgeschätzt entspricht dies 20.000 bis 30.000 Obstbäumen. Ist diese Wiederentdeckung von Allmendeobst basierend auf der Mundraub-Map ein weiteres Beispiel für Elinor Ostroms Theorie, wie Menschen gemeinschaftlich und selbstorganisiert ein Kollektivgut effektiv nutzen und dauerhaft bewahren können?

Allen Unkenrufen zum Trotz, dass nun Horden rücksichtsloser, hungriger Städter über private Obstplantagen in ländlichen Gegenden herfallen und die an­sässigen Landwirte in den Ruin treiben würden, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass seit dem Start der Mundraub-Initiative mehr Obst gestohlen wurde oder mehr Schäden entstanden sind als gewöhnlich. Die Nutzer übernehmen intuitiv Ver­antwortung: Mehr als einmal wurde eine Fundstelle auf allgemeinen Wunsch der Nutzer aus dem Netz genommen und damit »unsichtbar« gemacht, um den Ort vor Übernutzung zu bewahren.

Viele der mehr als 150 Presseartikel über die Mundraub-Initiative titeln »Gra­tisobst für alle«. Doch die meisten Nutzer fühlen sich der Idee des Teilens und des »Crowdsourcing« (Crowdsourcing bezieht sich hier auf die kollaborative und selbstorganisierte Samm­lung und Pflege von Informationen zu Allmendeobstbäumen durch eine Vielzahl von eigen motivierten, den Plattformbetreibern weitestgehend unbekannten Akteuren auf http://www.mundraub.org) stark verbunden. Umsonst Obst zu ernten steht hinter dem Gedanken zurück, etwas beitragen zu wollen: Sie tragen Bäume ein, starten Dis­kussionen über botanische Details, verbreiten Rezepte oder alte Kulturtechniken in Verbindung mit lokalen Obstsorten weiter, und – besonders wertvoll! – sie er­ zählen wundervolle Anekdoten über die Fundstellen.

Die Informationen auf http://www.mundraub.org über die Standorte von Obst­bäumen, die Eigentumsverhältnisse und einige wenige »Benimmregeln« helfen den Mundräubern also tatsächlich, gemeinsam Verantwortung für diese Fruchtfülle zu übernehmen: selbstorganisiert, jenseits von Markt und Staat und ganz im Sinne der »Ostrom-Schule«.

Ein langer Weg liegt aber noch vor uns, um diese wiederentdeckte Allmende zu erhalten. So brauchen Obstbäume regelmäßig fachkundige Pflegeschnitte, mit­ unter auch Nachpflanzungen. Doch der erste Schritt ist getan.

Katharina Frosch (Deutschland) ist Ökonomin und arbeitet zu sozialer Innovation in der urbanen Landwirtschaft. Sie ist Mitbegründerin von http://stadtgarten.org sowie http://mundraub.org (vom Rat für Nachhaltige Entwicklung mit dem Nachhaltigkeitspreis 2009 ausgezeichnet).

aus: Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.), Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld: Transscript Verlag. S. 273-274. Das Buch kann als PDF hier downgeloaded werden.

Obstbaumgarten Margarethen am Freinberg

margarethenwegEin ziemlich einzigartiges Projekt zur Erhaltung alter Obstbaumsorten betreibt die Stadt Linz: In fünf Obstbaumgärten werden Sorten herangezogen die vom Aussterben bedroht sind. Durch Aufpfropfen von Zweigen ist es gelungen, vom Aussterben bedrohte Apfelarten, wie zum Beispiel „Kronprinz Rudolph“, „Geheimrat Dr. Oldenburg“ und „Kaiser Wilhelm“, heranzuziehen. Dadurch leistet die Stadt Linz einen Beitrag zur Erstellung eines Genpools für Obstsorten. Und ein netter Nebeneffekt: Die Früchte dürfen zur Reifezeit gratis gepflückt und deren Fallobst geklaubt werden.

tafelWir besuchten den ältesten dieser Gärten am Margarethenweg Richtung Zaubertal. Er wurde 1998 auf einer Größe von 7.700 m² angelegt und beherbergt ca. 100 Bäume. Neben den schon genannten Apfelsorten gedeihen dort seltene Birnensorten wie die „Gräfin von Paris“, sowie verschiedene Kirschensorten, Quitten, Mostbirnbäume und Wildobstgehölze. Er ist der einzige der bis jetzt Früchte trägt, die anderen vier Gärten im Hummelhofwald, bei der Feuerwache Nord, am Biesenfeld und am Kampmüllerweg wurden erst zwischen 2008 und 2013 angelegt.

flachs-gulderlingJeder Baum trägt eine Hinweistafeln auf denen der botanische Name, Herkunftsort sowie ungefähres Datum der Erstzucht erläutert werden. Im Bild das Sortenschild eines Tiroler Flachs Gulderling, gezüchtet um 1880 in Schwarz. Jedermann/-frau darf in Haushaltsmengen Früchte pflücken und Fallobst sammeln. Die Stadtgärten weisen darauf hin dass die Bäume und die Natur geschont werden müssen, so wie man es im eigenen Garten machen würde. Bei unserem Besuch haben wir schon heranwachsende Äpfel gesichtet, im Bild Prinzenäpfel.

prinzenapfelEine ausgezeichnete Initiative der Stadt Linz zur Erhaltung der Kulturlandschaft und der Biodiversität.

Anmerkung: Um mehr über alte Obstsorten zu erfahren, empfehlen wir die Obstdatenbank des BUND Lemgo die eine gute Sammlung von Bildern und Beschreibungen alter Obstsorten bietet. Aber auch Wikipedia hat Information zu viele seltene Sorten, hier zB. die Liste aller Apfelsorten.